Mirjam Thomann  Aufstellung

12/06/2010 – 21/08/2010

Eröffnung: Freitag, 11. Juni 2010, 19-22 Uhr
Opening: Friday, 11. June 2010, 7-10 pm

Press Release

Die Transparenz, Beweglichkeit und Leichtigkeit architektonischer Elemente stellte einen wichtigen Posten auf vielen modernistischen Agenden dar und ist auch heute Merkmal einer Bauästhetik, die sich um Flexibilität bemüht. Geboren aus einer an industriell-ökonomischen Bedingungen gewachsenen Kritik des okklusiven bürgerlichen Innenraums, sollte mit dieser Absage an die Endgültigkeit des Gehäuses die immer wieder neu anzupassende Lebensumgebung der modernen Subjekte entstehen. Schon früh erprobte sich diese auch von den künstlerischen Avantgarden verwendete Metaphorik der Offenheit als gebaute Kunst – wie mit Bruno Tauts Glaspavillon auf der Kölner Werkbundausstellung 1914 – doch wurde das daran geknüpfte gesellschaftliche Versprechen der Freizügigkeit im Laufe des 20. Jahrhunderts bekanntlich mehrfach gebrochen. „Beweglichkeit” lässt sich heute kaum ohne zumindest einen Hintergedanken an die Druckverhältnisse vorstellen, die sie vom utopischen Ideal zur neoliberalen Forderung werden ließen.

In ihren installativen Arbeiten hat sich Mirjam Thomann immer wieder mit Implikationen der beweglichen und unbeweglichen Teile architektonisch-institutioneller Räume beschäftigt. Dabei greift sie oft auf die jeweils vorliegenden Proportionen, Funktionsbestimmungen, Achsen, Schichtungen und Materialien zurück und abstrahiert, verknüpft oder verfremdet sie so, dass sich ihre unsichtbaren Struktur- und Formprinzipien der Sichtbarkeit annähern und zu etwas Objektivem werden. Eine große Rolle spielen dabei in letzter Zeit jene innenarchitektonischen Vorrichtungen, mit denen Kunst institutionell gerahmt und präsentiert wird.

Mit ihrer neuen Arbeit Aufstellung präsentiert sie ein modulares System vertikaler Zeigevorrichtungen, das an der historischen Erfindung der so genannten „easel panels” der zu Beginn der 1960er Jahre vor allem in Brasilien berühmt gewordenen Architektin und Designerin Lina Bo Bardi (1914–1992) ansetzt. Bo Bardi hatte für ihren seinerzeit als Musterbeispiel einer offenen, „lebendigen” modernistischen Museumsstruktur gefeierten Bau des Museu de Arte de São Paulo (MASP, 1957) nicht nur ein soziale Environmentstruktur entworfen, sondern in Fortentwicklung etwa von Frederick Kieslers freien Bildhängevorrichtungen mit den „easel panels” auch etwas geschaffen, das man heute ein „Display”-System nennt. Ihre „Zeigeelemente” bestanden aus schlichten kubischen Sockeln, in die nach durchschnittlichen Körperproportionen bemessene Glastafeln eingesetzt werden konnten, an denen wiederum mithilfe einer Bohrung gerahmte oder ungerahmte Tafelbilder aufzuhängen waren. Dies konnte und sollte intuitiv als Kritik am einengenden, „definitorischen” Wesen des Museums mit seinen traditionellerweise geschlossenen, flachen Wänden verstanden werden. Die (aufgrund des Modulformats) hauptsächlich hochrechteckigen „Flachbilder” eigneten sich so zu einer nicht unspektakulären Überführung in die dritte Dimension. Deutlich wurde allerdings auch, dass die mit humanistischer Rhetorik vorgetragene Flexibität eines solchen Systems keineswegs eine universelle Verwendbarkeit gestattet, vielmehr eine Transparenz auf neue (und möglichst gerechtere) Verhältnisse hin vor allem suggestiv vermittelt.

Mirjam Thomann geht es nicht um eine Rekonstruktion dieser „easel panels” – was sich schon daran zeigt, dass sie bei der Bemessung ihrer Zeigeelemente nicht von Bo Bardis Originalmaßen ausgegangen ist –, vielmehr sieht sie diese als „mixed package”, als eine widerspruchsvolle Entwicklung, deren volle Ambivalenz sich wohl auch nur über eine Aufschlüsselung ihres historischen Kontextes erschlösse. Thomann vertieft und erweitert die Nutzung der Vertikalstrukturen zugleich, wenn sie diese nicht mehr als Bildträger, sondern als Träger eines modularen, kombinatorischen Systems macht. Hierbei kommt es in für Thomanns Arbeitsweise spezifischer Form zu einem Wechselspiel von formaler Strenge und ironischer Willkür, wenn sie für die sechzehn Sockelelemente im Rahmen ihrer Aufstellung insgesamt zweiunddreißig Tafelelemente vorsieht, die garantieren, dass sich eine bestimmte Version einmal komplett austauschen lässt.

Das Reservoir der Tafeln, die auf die im Raum verteilten Sockel gestellt werden können, besteht aus acht Glastafeln, acht Spiegeltafeln sowie sechzehn monochromen, aber auf Vorder- und Rückseite unterschiedlich bemalten Holztafeln. Hinzu kommen je vier unterschiedliche, aus zwei industriellen Stoffen (Jeansstoff und Leinwand) gefertigte Überzüge. Auf dieser Grundlage lassen sich unterschiedlichste Räume in einen Komplex aus Durchblicken, Filtern, Sperren und Licht- und Farbreflexen verwandeln. Dabei ist hier trotz der Arithmetik des Rekombinationssystems das Element des Individuellen und Willkürlichen sehr wichtig. Es pflanzt sich in die Binnenstrukturen des Systems fort, wohl am deutlichsten sichtbar an der Wahl eines zweiten Referenzsystems, das allerdings nur mittelbar auf persönlichen Geschmacksentscheidungen der Künstlerin beruht. Für das Farbsystem ihrer bemalten Holztafeln nämlich hat sie auf das von dem Modedesigner Ralph Lauren entwickelte Wandfarbensortiment seiner „Lifestyle Colors“ zurückgegriffen. Lauren als Inbegriff des idiosynkratischen, mit Authentizitäten handelnden Geschmacksmarkers und die Kommunikationsarchitektin Lina Bo Bardi bilden wahrhaftig ein „unlikely couple“. Durch Thomanns freizügige Kombination zweier so unterschiedlicher Systemtemperamente kommt es zur ebenso surrealen, auf merkwürdige Weise unterschwellig sinnvoll scheinenden Verschmelzung von gebauter Museumkritik und popkulturell informierter Innendekoration, von „Art & Architecture“ und „Architectural Digest“, von Modulor und Mannequin. Allerdings können die Elemente in der Aufstellung auch an ganz andere als die genannten Bezüge anschließen – schnell werden die Tafeln zu Individuen, wie sie etwa die psychologische Terminologie und Methodik der „Familienaufstellung“ kennt, oder zu post-Schlemmerschen Bühnenfiguren (die Eiskartenaufsteller im benachbarten Café Voss –wie sahen die noch mal aus?). Es ist aber die im Raum erfahrbare feinstoffliche Sensibilität für Farbe, Licht und Material und die genaue Kenntnis der Mechanismen räumlicher Referenz, die diese Mischung in Thomanns Installationssystem auch ohne die Spezifik ihres hintergründigen Bezugsreichtums zu einem vieldeutigen, bühnenbildhaften Ereignisort machen – zumal in der Schaufenstersituation der Galerie. So erscheint Mirjam Thomanns Entscheidung, am Eröffnungsabend die szenische Aufführung eines Fragments aus Émile Zolas „Le ventre de Paris“ mit Schauspielern auf den dafür leeren Sockeln der Installation zu planen, mehr als folgerichtig.

Clemens Krümmel