Martin Gostner Them Powers
08/06/2007 – 28/07/2007
Eröffnung: Mittwoch, 06. Juni 2007, 19-22 Uhr
Opening: Wednesday, June 6th, 2007, 7-10 pm
Press Release
Gostners Vorliebe gilt den Zeichen und Symbolen, jenen Wissenschaften, die die Welt quantifizierend und diagrammatisch zu erfassen suchen. Seine Taktik (ein in diesem Zusammenhang in mehrfacher Hinsicht sinnvolles Wort) hat viel mit den Ambitionen konzeptueller Kunst zu tun, dem auch die verwendeten, „Informationen vermittelnden“ Medien Fotografie und Typografie nahe stehen. Stil hingegen ist ohne Belang, kommt höchstens in der Variante der Haltung vor, die man als subversiv bezeichnen kann.
Hart hervortretende soziale und politische Themen werden immer wieder antidogmatisch abgeglichen mit der „weichen„ Möglichkeit eines Verschwimmens der Grenzen. Geradezu wörtlich erfährt man dies vor Gostners Wattewand Bamiyan-Apparat am Ende der Galerie, in der die physische Präsenz der Nichtfarbe Weiss auf einen visuellen Nullpunkt zurückgeführt wird. Diese katalytische Sehmaschine überfordert das Auge als physischen Sehapparat, das im wolkigen Nichtraum kaum mehr reale Tiefe wahrnehmen kann. Kunstimmanente Materialforschung könnte an dieser Stelle auf den seit den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts existieren Diskurs zur Form und Anti-Form verweisen. Doch Gostner, der in den letzten 15 Jahren immer wieder mit Watte gearbeitet hat, unterläuft genau diese selbstreferentiellen Verknüpfungen, indem er minimalistische Vertiefungen so in die Wand einbringt, dass einige der unmittelbar durch den Titel der Arbeit hervorgerufene Assoziationen mit der 2001 erfolgten Sprengung der Buddha-Statuen im Tal von Bamiyan in Afghanistan bestätigt scheinen. Tatsächlich geht hier alles vor sich wie im Fall einer pathologischen Beschränkung des Gesichtsfeldes, die durch einen ganz bestimmten und begrenzten Komplex von Informationen hervorgerufen wird. Die Frage ist also: „Was sieht der Taliban und was sehe ich? “
Eine andere Frage ist: „Where were you when Kennedy was shot?“ Sie zielt auf die persönlichen Erinnerungen ab, die einzig wahren Erinnerungen, die aber erfahrungsgemäß individuell voneinander abweichen. Da Kollektive hingegen kein Gedächtnis haben, machen sie sich eins. Zwangsläufig ist dieses dann von Mythen geprägt, die der Addition von individuellen Momenten Sinn und Richtung geben. Genau davon handelt A Thick Aura Over Dealey Plaza. Das panierte und gebackene Modell des Ortes, auf dem John F. Kennedy erschossen wurde, komprimiert dieses Ereignis auf seine transzendenten Folgen, die in den USA noch heute bei jeglicher politische Aktion spürbar sind. Die Aura der tragischen Lichtgestalt Kennedy (ja eigentlich des gesamten scheinbar verfluchten Clans) lastet dort schwer auf der Gesellschaft, während sie gleichzeitig das Scheitern aller liberalen Tendenzen vorab entschuldigt. Fette braune Panade ist Gostners nicht ganz ironiefreie Metapher für diese bleierne Erinnerungslast.
Dennoch, man täte dem Künstler unrecht, würde man unterstellen, alles liefe auf Spott hinaus. Tatsächlich ist ihm Denunziation relativ fremd. Denn so fehlbar Erinnerung auch sein mag, sie bildet das Rückrad unserer persönlichen Identitätsbildung. Bei aller Ambivalenz ist daher eine mögliche Lesart von Mach Mao - die ausgestellte Scheiße, die rauskommt, wenn man Maos Bibel verdaut – eher selbstreflexiv und hat so viel mit der Generation der 68er zu tun wie mit der Kulturrevolution. Sich mit Geschichte auseinandersetzen und sie verdauen ist hier mal nicht als Metapher, sondern eben ganz konkret als Runterwürgen und Ausscheißen zu sehen.
Dass Dekonstruktion von Geschichte auch durch die Konstruktion künstlerischer Modelle erreicht werden kann, zeigen die großen Computerplots des Österreichers. Geschichte als Vektorbild ist eine so vertraute Figur, dass OhMyOhMy, Scheinebraten, Morbus Clausewitz ja selbst Der Barmherzige ohne weiteres als Historiogramm gelesen werden. Mein Keller hingegen ist ein Bild vom Friedhof der Geschichte, auf dem die Symbole großer Massebewegungen – egal ob Völker, Armeen oder Waren – verstauben. Welcher Oberst auch immer seine Sachen im Keller des Künstlers abgestellt hat - er hat bestimmt niemanden mehr, der ihm schreibt. Mein Keller erscheint wie der Schlusspunkt einer Fiktion, deren Protagonist als personifizierter Phallokrat in OhMyOhMy vor dem Hintergrund des Kessels von Stalingrad einen Höhepunkt ohne Gleichen erlebt.
Doch Gostner schließt die eigene Hermeneutik auf und fügt der Ausstellung einen isolierten monolithischen Block ein, in dem sich Übriggebliebenes und Verworfenes, alles was irgendwann einmal für Ausstellung wichtig war, sammelt. In Them Powers Work Flow wird eine unablässige Abfolge von Brüchen konstatiert, eine Addition von Momenten ex negativo - nicht um sie einer neuen
Ordnung zuzuführen, sondern um die Überzeugung zu stärken, dass Chaos allein zum Verstehen führt.
Weit davon entfernt, sich als Kommentator der Welt zu sehen, stellt sich Gostner der „Wirklichkeit“ indem er an ihr teilnimmt. Er, für den die Gesetze einer symbolischen Welt gelten, beeinflusst unsere Wahrnehmung indem er neue Dinge in diese Welt setzt. Die sind letztlich auf der psychische Ebene genau so real wie so genannte Daten und Fakten, die ohnehin mythische Konstrukte sind, mit deren Hilfe wir komplexe Interdependenzen begreifen wollen. Das Problem des Künstlers ist, sich etwas auszudenken, das interessant genug ist, diese Kluft zu überbrücken. Martin Gostner leistet genau das.
Susanne Prinz