Andreas Diefenbach  Rektoskopie im Land der Geeichten und des Stumpfsinns

30/06/2006 – 02/09/2006

Press Release

Es gibt ein fundamentales Gesetz, welches lautet: dass, wenn im Atelier produzierte Kunst von irgendjemand anderem als dem Künstler selbst gesehen werden soll, die Kunst ausgestellt werden muss. Die heutzutage gewöhnlich in Ateliers gemachten Bilder werden dazu in die Galerie gebracht und der Künstler hofft, dass die Schöpfungen seines Geistes dort kommuniziert, rezipiert und bestenfalls verstanden werden. Andreas Diefenbach scheint all dies allerdings vollkommen egal. Statt bestimmte Themenkreise formal und inhaltlich konsequent abzuhandeln, ersetzt in seiner ersten Berliner Einzelausstellung "Rektoskopie im Land der Geeichten und des Stumpfsinns" in der Galerie Christian Nagel eine scheinbar heillose Mischung der Referenzen die stringente Argumentation angewandter Rhetorik.

Eine verwirrende Vielfalt stilistischer Mittel wird begleitet von gänzlich unverständlichen Argumentationen im Titel. Dabei ist die Verbindung von Namen, Bildern, Fußnoten und Musik – Diefenbach betreibt seit 1999 das Label reis* experiment+hop - unterschiedlich dicht. Malerisch bedient er sich großzügig aus dem Formen- und Sprachrepertoires seiner unmittelbaren Vorgängergenerationen um die Großmeister Polke, Richter, Oehlen und Kippenberger sowie bei Krebber, Majerus oder Carpenter. Eine gewisse Bildungsnähe beweist er durch das gelegentliche Zitieren deutscher Romantik, ist doch das Motiv der Einladungskarte nichts anderes als die Paraphrase des berühmten Kaspar David Friedrich Bildes „ Frau am Fenster„.

Abhängig von individuellen Alter und Informationsstand hat denn auch der Betrachter große Chancen in manchen Fällen über das Personal in seinen Bildern zu einem parallelen Verständnis zu gelangen. „Eure Theorien machen keinen Sinn für mich“ in Verbindung mit dem ursprünglich als Idiot Boy veröffentlicht Gesicht Alfred E. Neumanns, das subkutan mit Diefenbachs eigenen Zügen verschmilzt, macht eben doch Sinn. Besonders wenn die gleiche Figur in einem anderen Bild noch einmal als „Abstraktor der Quintessenz“ daher kommt. Ob die Titel „ästhetisch durchgeglüht“ und „Contemporary Fart“ tatsächlich so selbstironisch gemeint sind, wie sie daher kommen, bleibt unklar, sicher aber stehen sie für eine drastische Behandlung des Problems der künstlerischen Selbstinszenierung, das wiederum dem des künstlerischen Ausdrucks vorgelagert ist. Anders gesagt, ist natürlich auch die Entwicklung räumlicher Tiefe auf der zweidimensionalen Fläche ein Thema für Diefenbach, dem es sich mit Kompetenz zu widmen gilt, aber die Frage der Bedeutungstiefe, also nach Wahrheit statt Realität, verlangt doch eher nach beherzter Inkompetenz. Mut zur Phrasendrescherei und poetischer Anarchismus sind dabei nur zwei Möglichkeit voraussetzungslosen Zugang für jedermann und zugleich totale Hermetik in Wort und Bild zu erreichen.

Andreas Diefenbach wurde 1973 in Wiesbaden geboren. Er lebt in Frankfurt a.M..

Susanne Prinz