JEWELS  Gabi Dziuba – Henning Strassburger

06/05/2021 – 26/06/2021

Galerie Nagel Draxler
Türkenstraße 43
80799 München

Öffnungszeiten / Opening hours:
Kontakt/ Contact: Peter Martin: +49 (0) 172 8639 182

Press Release

„…Kennengelernt habe ich Henning auf der Ausstellungseröffnung von Hans-Jörg Mayer in Antwerpen ‘This is not a Love Song’, 2012. Ich war begeistert, dass er diese Reise nach Antwerpen gemacht hat, kam abends an + ist gleich am nächsten Morgen nach einer total verrückten Nacht wieder abgereist. Eigentlich habe ich mich schon an dem Abend in Henning verliebt und ich fand seine Fotos, seine Hefte Kenny, Jane and Justin super, Kenny für Kenny McCormick von South Park, Jane für Jane Fonda, und Justin für Justin Bieber: genial!…“

Gabi Dziuba hat die 80er Jahre Energie. Sie hat sie bis heute. Die 80er waren das kreativste und das körperlichste Jahrzehnt der Deutschen. Dann sind die 80er in die Digitalisierung und in die Globalisierung ausgewandert und haben dort an Intensität langsam verloren. Henning Strassburger, der in den 80ern erst geboren wurde, hat diese Energie auch. Es ist, als hätten die 80er Jahre bei ihm Asyl gefunden. Er ist jung und lebt in der Gegenwart, aber seine unerschöpfliche kreative Haltung gegenüber Kunst, Fotografie, Mode, Musik und Literatur geht über diese Gegenwart hinaus.

Wir freuen uns sehr, den Katalog „Henning Strassburger fotografiert Dziuba Jewels“ in München in einer Ausstellung mit Schmuck von Gabi Dziuba und Fotos und Malerei von Henning Strassburger präsentieren zu dürfen.
SPLASH ist der neue Ring, in dem diese Zusammenarbeit kulminiert!

 

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"...I met Henning in Antwerp, at the opening of Hans-Jörg Mayer’s show ‘This is not a Love Song’, in 2012. I was thrilled that he made this trip to Antwerp, arrived in the evening + left the very next morning after a totally crazy night. Actually, I fell in love with Henning that night and I much liked his photos, his Kenny, Jane and Justin notebooks: Kenny for Kenny McCormick from South Park, Jane for Jane Fonda, and Justin for Justin Bieber: genius!..."

Gabi Dziuba has the 80s energy. She has it until today. The 80s were the most creative and the most physical decade of the Germans. Then the 80s migrated to digitalization and globalization, where they slowly lost their intensity. Henning Strassburger, who was only born in the 80s, also has this energy. It is as if the 80s found asylum with him. He is young and lives in the present, but his inexhaustible creative attitude towards art, photography, fashion, music and literature goes beyond this.

We are very pleased to present the catalog "Henning Strassburger photographs Dziuba Jewels" in Munich in an exhibition with jewelry by Gabi Dziuba and photographs and paintings by Henning Strassburger.
SPLASH is the new ring in which this collaboration culminates!

 

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Gabi Dziuba trägt

1980: Disco, Punk und Pop, die RAF, atomare Albträume, aufgeputschte Wirtschaft zerstörte Umwelt ... Widersprüche, Zersplitterung. Nichts trägt, nichts hält mehr zusammen. Nichts, was verlässlich wäre, unbelastet schonmal gar nicht. Das Jahrhundert kaputt. Was wollte man da schmücken? Und wie?

Gabi Dziuba tritt mitten in diese fragwürdig gewordene Zeit hinein. Geboren am Bodensee, studiert sie an der Hochschule für Gestaltung in Pforzheim und wechselt anschließend nach München an die Akademie. Ihr erstes gültiges Schmuckstück schafft sie 1975 – einen Ring mit aufgesetzter wehender Fahne. Die klassischen Formen und Materialien mögen zwar beschädigt sein, nur heißt das nicht, dass man sie nicht gerade deshalb herausstellen und zeigen kann: »Flagge zeigen«. Auch Schmuck gehört in die Welt der Zeichen.

Von Anfang an bricht Dziuba mit jeder kunsthandwerklichen Konvention. Was man darf, was man tut, was wie auszusehen hat, kümmert sie herzlich wenig. Gegenüber der Tradition ist ihr Schmuck verstörend. Nicht angepasst, angewandt, anschmiegsam, sondern individuell. Es geht nicht ums Gefallen, sondern um Haltung. Darum, Zeichen für das eigene Leben zu finden. »Statement«-Schmuck bevor es den Begriff überhaupt gab. Was viele Freiheiten mit sich bringt, jedoch auch die ständige Ungewissheit, auf kein vorgefertigtes Repertoire zurückgreifen zu können. Herkömmliche Kriterien, etwa Formschönheit oder Ausgewogenheit, greifen hier zu kurz. Dziubas Schmuck schlägt über die Stränge, sprengt jeden Rahmen und selbst, wenn sie winzig sind, wirken die Stücke larger than life.

Ihr Ausdruck ist die Übertreibung, die Zuspitzung. Was überbordende Fülle heißen kann oder strenge, minimale Setzungen. Erfrischend ist dabei, dass die Entwürfe weder weiblich noch männlich sind und sich über solch dumpfen Festschreibungen seit jeher hinweggesetzt haben. Die Form ist immer spezifisch, selbstbewusst, künstlerisch. Mal provokant, mal feinsinnig besitzt jeder Ring, jeder Anhänger, jede Kette, jede Brosche eine widerständige Sperrigkeit. Betont zu groß für den bloßen Gebrauch oder zu viel, wenn es kleiner wird. Ihr Vokabular, zunächst Silber und Gold mit ausgewählten Edelsteinen, hat Dziuba schon früh durch Holz und industrielle Materialien wie Stahl und Kupfer erweitert – parallel zu Günther Förg, seit der Münchner Akademie einer ihrer engen Kollaborateure, der zur selben Zeit die Leinwand gegen kunstferne Bildträger aus Kupfer oder Blei eintauscht.

Ihre Zeichen sind Readymades, in gewisser Weise. Die Formen, Schriftzüge, Slogans und Symbole kommen aus der Musik, der Literatur und Comics, aus ihrem Leben, ihren Freundschaften. Die alltägliche Banalität steigert Dziuba allerdings zu eigenwilliger Künstlichkeit. Und gerade auf diese Aneignung kommt es an, um sich selbst zu behaupten.

Schlüssel, Zylinder, Eimer, Kronen, Gitarren, Fußbälle und Kleeblätter erscheinen etwa wie Glücksbringer und sind es zweifelsohne auch. Jede Art künstlerischer Gestaltung fordert das Glück heraus. Es ist ein schmaler Grat, auf dem man sich zwischen klischeebeladener Zumutung und Anmut bewegt. Und das ist kostbarer als jeder Materialwert.

Dziubas Entwürfe stechen visuell heraus, sind plakativ und verletzlich zugleich. Verletzlich, weil sie sich in einer fragilen Balance befinden. Die Formen sind klar, doch nie geschlossen. Ein fast konstruktivistischer Charakterzug, getrieben von der Neugierde zu sehen, was zwischen den einzelnen Elementen Neues geschieht. Meist sind es drei, so dass sich zwischen Geometrie und Organik eben kein Stillstand einstellt. Alles bleibt asymmetrisch, dynamisch und kann bisweilen sogar in den unterschiedlichsten Zusammenstellungen arrangiert werden.

Mode war Gabi Dziubas Schmuck nie, deshalb aber umso näher an der Gegenwart: gewagt und mit Witz, direkt und ungeschönt oder einfach nur ehrlich.

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2021: Gabi Dziubas Formensprache ist heute aktueller denn je. Ihre ästhetische Haltung und Konsequenz bieten besonders für eine jüngere Generation von Künstler:Innen unzählige Reibungs- und zukünftige Anknüpfungspunkte. So entstand auch aus persönlicher Sympathie und der wechselseitigen Begeisterung über den jeweils anderen Blick auf die eigene Arbeit vor drei Jahren die Idee, dass Henning Strassburger DZIUBA JEWELS fotografiert. Ein Langzeitprojekt, zunächst noch mit offenem Ausgang.

Das letzte, von Heimo Zobernig gestaltete Werkbuch erschien vor 15 Jahren. Was eindeutig zu lang ist. Dieser Katalog stellt jetzt den künstlerischen Austausch und das kollaborative Gespräch, aus dem sich Dziubas Werk speist, in den Mittelpunkt. Strassburger hat also Künstler:Innen, Galerist:Innen und Sammler:Innen fotografiert, die mit Dziuba befreundet oder durch vielfältige Zusammenarbeiten eng mit ihr verbunden sind.

Die analogen Fotos, aufgenommen mit einer Olympus μ-II, sind wie Dziubas Entwürfe voller Dynamik und unerwarteten Sprüngen. Die Kontraste sind hart, das Licht grell und alles scheint unentwegt »in and out of focus«, in Bewegung. Zwischen Inszenierung und Beiläufigkeit – stehenbleiben, abdrücken, weitergehen – sind es situative Tableaus.

Die Schnappschussästhetik ist allerdings artifiziell und trügerisch. Die Fotos entfalten ihren Reiz vielmehr aus dem unbewusst/bewussten Zusammenspiel der Träger:Innen und der Schmuckstücke, die sie sich zu eigen machen. Wir begegnen einer Vielzahl an inszenatorischen ›Selbstbildern‹ und für einen Augenblick wird aus der Zersplitterung der Formen, Materialien und Erfahrungen ein einmaliges, unwiederholbares Ganzes. Sich freimachen, eigene Zeichen finden.

- Christian Malycha