ALEX WISSEL  Andropause

02/09/2023 – 27/10/2023

Galerie Nagel Draxler
Elisenstr. 4-6
50667 Köln

Opening / Eröffnung:
Freitag, 1. September 2023, 18 – 21 Uhr
Friday, September 1, 2023, 6 – 9pm

Verlängerte Öffnungszeiten zur DC Open:
Samstag, 2. September 2023, 13 – 19 Uhr
Saturday, September 2, 2023, 1 – 7pm
Sonntag, 3. September 2023, 13 – 17 Uhr
Sunday, September 3, 2023, 1 – 5pm

Öffnungszeiten / Opening hours:
Dienstag - Freitag 11 – 18 Uhr, Samstag 12 – 18 Uhr
Tuesday - Friday 11am – 6pm, Saturday 12 – 6pm

Press Release

** Please scroll down for the English version. **

Andropause

Der Beginn dieser Ausstellung fängt mit einem Trauerprozess an.

Letztes Jahr hat sich ein Freund von mir das Leben genommen. Leider war er schon der 5. Freund von mir aus der Kunstszene Düsseldorf, der auf diese Weise sein Leben beendet hat. Es hat mich zum Nachdenken gebracht, ob das vielleicht nicht nur tragische Einzelschicksale waren, sondern ob es auch eine strukturelle Komponente dabei gibt. Auf eine Art und Weise habe ich das Gefühl, dass sie bis zu einem gewissen Teil alle mit einem Künstlergeniebegriff gehadert haben, der insbesondere in der Kunstakademie Düsseldorf in der Zeit meines Studiums stark verbreitet war.

In der Ausstellung beschäftige ich mich mit diesem Künstlergeniebegriff.
Inwiefern sind solche Begriffe immer noch gelebte Praxis?
Wer hat sie erfunden und welche Männlichkeitsvorstellungen verbinden sich mit ihnen?
Warum passt das Künstlergenie-Lehrkonzept nach wie vor hervorragend in die neoliberale Erzählung von Gewinnern und Verlierern?

Ich versuche mich diesen Fragestellungen zu nähern indem ich meine damalige Rolle als „Impresario“ und „Manager“ des Single Clubs neu reflektiere.

Der Single Club wurde von mir im direkten Anschluss an mein Studium als alternatives Modell von öffentlichem Raum und partizipativer „Sozialer Skulptur“ konzipiert. Von Juni 2011 bis Juni 2012 inszenierten Künstler*innen hier experimentelle Parties und Performances, die sich unter Mitwirkung des Publikums entfalteten. Dank der völligen Verausgabung aller Beteiligten wurde der Raum dafür  jedes Mal neu gestaltet. Viele nutzten die Veranstaltungen für die Gründung von Kunst- und Musikprojekten. So gesehen war der Club eine Bühne für das Erproben unterschiedlichster Formate und Katalysator für neue Bands und Kollektive.

Irgendwie hat der Single Club genau die Zeit erwischt, in der sich das Verhalten und Selbstempfinden zur eigenen Performance in Bezug auf Öffentlichkeit und Social Media geändert hat. Teil der Verabredung des Single Clubs war es, dass der Club eine Bühne für einen noch zu drehenden Film sein sollte und daher mit Eintritt das Recht am eigenen Bild abgegeben wurde. Aus den gesammelten Handy- und Kameraaufnahmen haben Jan Bonny und ich später zusammen den Film single entwickelt. 2011 war Facebook, etc. noch ganz am Anfang und das öffentliche Verhalten bezüglich Selbstvermarktungsstrategien auf social media dementsprechend unschuldig. Tatsächlich haben relativ wenig Leute gefilmt – ich denke heute würde das Konzept nicht mehr funktionieren, da die ganze Welt ein Single Club geworden ist. Mir kommt es so vor, dass seit den beginnenden Zehner Jahren „Öffentlichkeit“ erzeugt wird, indem man private Dinge teilt. In der Ich-Ag des neoliberalen Ministeriums für Einsamkeit herrscht das Authentizitätsdiktat der „Künstlergenies“.

Christopher Williams hat für das Vorgängerprojekt des Single Clubs einen Bierdeckel entworfen, der indirekt Bezug nimmt auf das Multiple „Alkoholfolter“ von Martin Kippenberger. Auf einem verfremdeten Schlösser Altbierdeckel stehen zwei Redewendungen vom Kellner aufgeschrieben, die  für Sterben stehen. Beide Editionen bedienen eine bürgerliche Sehnsucht nach dem freien, einsamen, wilden und ungesunden Künstlerleben, die immer auch von romantischer Todessehnsucht geprägt ist. Es gibt die Feststellung von Sigmund Freud, dass der Todestrieb konservativ ist.

Teil der Ausstellung ist ein installatives Zitat des Säulengangs aus dem Keller des Single Clubs. Darauf sind sehr viele Zeichnungen von mir aus unterschiedlichsten Zeiten platziert. Während der Zeit des Single Clubs konnte ich meine Krankenkasse nicht bezahlen, teils ergaben sich große Summen aus den Folgekosten – manche Zeichnungen verwenden die Schuldnerpapiere aus dieser Zeit als Bilduntergrund. Welche Vorstellungen von „Künstlerleben“ spiegeln sich in dieser Bildproduktion?

2012 endet der Single Club, im gleichen Jahr illustriert Kunstakademie Rektor Markus Lüpertz das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland für den Bertelsmannverlag und die BILD Zeitung – zusätzlich wird eine exklusive Sonderedition mit Bronzebüste für die ZEIT produziert. Mir kommt es so vor, als ob diese Art von „Künstlerperfomance“ „Tradition“ und „Recht und Ordnung“ als Kulisse und Vorwand braucht um ihren entgrenzten „Freiheitsfetisch“ aufzuführen. Auch im Hinblick auf Lüpertz Direktorenschaft an der Kunstakademie Düsseldorf lässt sich eine ähnliche Performanz beschreiben, die mit der Umkehrung der Zustände kokettiert. Manifestiert wird damit jedoch dann wieder der eigentliche „alte“ Zustand. Von Berlusconi über Johnson bis Trump hat sich zeitgleich ein recht ähnlicher „karnevalesker Führungsstil“ auch in der Politik etabliert, der die frivole Komplizenschaft der Untergebenen quasi mitvoraussetzt.

Ich frage mich, für welche Inszenierungen war der Single Club eine Bühne?
War er auch Teil des Lüpertzschen Grundgesetz?
Habe ich auch Künstlergenie gespielt? Im Film single, der ja keine Dokumentation war, spiele ich bereits bewusst das einsame männliche Künstlersubjekt „Alex“ das aus seinem Trennungsschmerz schöpferische Kraft entwickelt und den Single Club schafft.

Sag doch noch mal „ich“.
Ich, ich, ich, ich, ich, ich
Darum ging es mir aber nicht im Film oder Club. Es ging mir um die Gnade der Rolle, sich nicht ständig selbst spielen zu müssen.

Aus den Resten der Kunstwerke und Dekorationen, die für den Single Club entstanden sind, habe ich eine Skulptur gebaut, die ich denke entweder „soziale Skulptur“ oder „Salon des Amateurs“ nennen werde.

Tanzen, tanzen, tanzen, tanzen, tanzen, tanzen, tanzen, tanzen, tanzen, tanzen, tanzen, tanzen, tanzen, tanzen, tanzen, tanzen, tanzen, tanzen, tanzen, tanzen, tanzen, tanzen, tanzen, tanzen, tanzen, tanzen, tanzen, tanzen, tanzen, tanzen, tanzen, tanzen, tanzen, tanzen, tanzen, tanzen, tanzen, tanzen, tanzen, tanzen, tanzen, tanzen, tanzen

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Alex Wissel (*1983, Aschaffenburg) ist ein deutscher Maler, Bildhauer, Performancekünstler, Schauspieler und Filmregisseur. Ausgebildet an der Ecole Nationale des Beaux Arts in Lyon und als Meisterschüler von Rosemarie Trockel an der Kunstakademie Düsseldorf, lebt und arbeitet Wissel heute in Düsseldorf.

Wissels Oeuvre zeichnet sich durch Vielseitigkeit aus. Seine Veranstaltungsreihe "Single Club" (2011/2012) in einer albanischen Glücksspielbar in Düsseldorf wurde in Party- und Künstlerkreisen legendär. Gemeinsam mit dem Regisseur Jan Bonny entstand zeitgleich der Experimentalfilm "single" als Komplize des Projekts und Erweiterung des Clubs in einem anderen Medium. Jan Bonny ist es auch, mit dem er für die Webserie "Rheingold" an der Volksbühne Berlin zusammengearbeitet hat, die den Aufstieg und Fall des Kunstberaters Helge Achenbach künstlerisch mit der Entwicklung neoliberaler Realität in Deutschland in Verbindung bringt (2018). Die Zeichnungen, Skulpturen und Installationen seiner Einzelausstellung "Thymostraining" (2019) in der Sammlung Philara untersuchen mit einem hintergründigen humoristischen Ansatz die Erfindung des Nationalismus durch historische Künstlerfeste und nationalistische Denkmäler und deren heutige Rolle in Populismus und nostalgischer Propaganda.

Wissels Arbeiten wurden in einer Vielzahl von Einzelausstellungen in renommierten Institutionen präsentiert, darunter der Kunstverein Harburger Bahnhof, Hamburg (2018), Sammlung Philara, Düsseldorf (2019) und der Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf (2019). Gruppenausstellungen finden u.a. in der Kestnergesellschaft Hannover (2018), in der Sammlung Julia Stoscheck, Düsseldorf (2021) und im Museum Morsbroich, Leverkusen (2021) statt. Darüber hinaus hat der Künstler die Bühnenbilder für die Volksbühne Berlin (2018) und das Theater Basel (2021) entworfen. Wissels erste Einzelausstellung bei Nagel Draxler trug den Titel "Bayerisches Staatsministerium der Finanzen und für Heimat" und fand im Sommer 2021 in der Münchner Galerie statt. 2022 erhielt Wissel den zum dritten mal vergebenen Landsberg-Preis, die Ausstellung „das Zutrinken“ fand im NRW-Forum statt. Im September 2023 wird die nächste Einzelausstellung „Andropause“ bei Nagel Draxler in Köln zu sehen sein.

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Andropause

The beginning of this exhibition starts with a mourning process.

Last year a friend of mine took his own life. Sadly he was already the 5th friend of mine from the Düsseldorf art scene who ended his life in this way. It made me think about whether these were perhaps not just tragic individual fates, but whether there is also a structural component to it. In a way, I have the feeling that up to a certain point, they all struggled with a concept of artistic genius. Which was particularly prevalent at the Düsseldorf Art Academy during the time of my studies.

In the exhibition I will approach this concept of artistic genius.
To what extent are such terms still lived practice?
Who invented them and what notions of masculinity are associated with them?
Why does the artist genius concept still fit perfectly into the neoliberal narrative of winners and losers?

I try to approach these questions by reflecting anew on my role as "impresario" and "manager" of the Single Club at that time.

The Single Club was conceived by me directly after my studies as an alternative model of public space and participatory "social sculpture". From June 2011 to June 2012, artists* staged experimental parties and performances here, which unfolded with the participation of the audience. Thanks to the total commitment of all participants, the space was redesigned each time. Many used the events to create art and music projects. In this sense, the club was a stage for trying out a wide variety of formats and a catalyst for new bands and collectives.

Somehow the Single Club has caught exactly the time when the behavior and self-perception of one's own performance in relation to the public and social media has changed. Part of the agreement of the Single Club was that the club was to be a stage for a film yet to be shot and therefore the right to one's own image was surrendered upon entry. From the collected cell phone and camera footage, Jan Bonny and I later developed the film single together. In 2011, Facebook, etc. was still in its infancy and public behavior regarding self-promotion strategies on social media was accordingly innocent. In fact, relatively few people were filming - I don't think the concept would work today, as the whole world has become a singles club. It seems to me that since then, "publicness" has been generated by sharing private things. In the Ich AG of the neoliberal ministry of loneliness, the dictate of authenticity by "artist geniuses" prevails.

Christopher Williams designed a beer mat for the predecessor project of the Single Club that indirectly refers to the multiple "Alcohol Torture" by Martin Kippenberger. On an alienated Schlösser Altbierdeckel are two phrases written down by the waiter that stand for dying. Both editions serve a bourgeois longing for the free, lonely, wild and unhealthy artist's life, which is always also characterized by a romantic longing for death. There is Sigmund Freud's observation that the death drive is conservative.
Part of the exhibition is an installation that quotes the colonnade from the basement of the Single Club. On it are placed a number of drawings of mine from a very wide variety of times. During the time of the Single Club I was not able to pay my health insurance, in some cases large sums resulted from the follow-up costs - some drawings use the debtor's papers from this time as the background of the picture. What ideas of "artist's life" are reflected in this pictorial production?

In 2012 the Single Club ends, in the same year art academy rector Markus Lüpertz illustrates the Basic Law of the Federal Republic of Germany for the Bertelsmann publishing house and the BILD newspaper - in addition an exclusive special edition with bronze bust is produced for ZEIT. It seems to me as if this kind of "artist performance" needs "tradition" and "law and order" as a backdrop and pretext to perform its unbounded "freedom fetish". With regard to Lüpertz's directorship at the Kunstakademie Düsseldorf, a similar performance can be described, which flirts with the reversal of conditions. However, the actual "old" state is then manifested again. From Berlusconi to Johnson to Trump, a quite similar "carnivalesque style of leadership" has also established itself in politics, which virtually presupposes the frivolous complicity of the subordinates.

I wonder for which productions the Single Club was a stage?
Was it also part of Lüpertz's constitution law?
Did I also play artistic genius? In the film single, which was not a documentary, I already consciously play the lonely male artist subject "Alex" who develops creative power from his pain of separation and creates the Single Club.

Say "me" again.
me, me, me, me, me.
But that's not what the film or the club was about for me. For me it was about the grace of the role, not having to play oneself all the time.

From the remnants of the artwork and decorations that were created for the Single Club, I built a sculpture that I think I'll call either "social sculpture" or "Salon des Amateurs."

Dancing, dancing, dancing, dancing, dancing, dancing, dancing, dancing, dancing, dancing, dancing, dancing, dancing, dancing, dancing, dancing, dancing, dancing, dancing, dancing, dancing, dancing, dancing, dancing, dancing, dancing, dancing, dancing, dancing, dancing, dancing, dancing, dancing, dancing, dancing, dancing, dancing, dancing, dancing, dancing, dancing, dancing, dancing, dancing, dancing, dancing, dancing, dancing, dancing, dancing, dancing, dancing, dancing, dancing, dancing, dancing, dancing, dancing, dancing, dancing, dancing, dancing, dancing, dancing, dancing, dancing, dancing, dancing, dancing, dancing, dancing, dancing, dancing, dancing, dancing, dancing, dancing, dancing, dancing