Stephen Williats Multichannel Life
03/09/2005 – 22/10/2005
Press Release
MULTICHANNEL LIFE
Stephen Willats
In seiner ersten Ausstellung „MULTICHANNEL LIFE“ in der Galerie Christian Nagel, Köln, präsentiert Stephen Willats sowohl Arbeiten der letzten fünf Jahre, als auch eine Gruppe verwandter, früherer Arbeiten aus den 1970er bis 90er Jahren. Die Arbeiten in der Ausstellung thematisieren die Selbstorganisation von Menschen innerhalb ihrer modernen Lebensbedingungen, die sie durch ein vielschichtiges, kulturelles System aus Zeichen und Symbolen wahrnehmen. Zentral ist für Willats dabei, dass menschliche Kreativität gerade in der Selbstorganisation und Neuordnung der den Alltag bestimmenden Einschränkungen, Regeln und Normen zum Ausdruck kommt .
Willats, der bereits seit den frühen Sechziger Jahren mit partizipatorischen Projekten und interaktiven Strategien arbeitet, nutzt seine Arbeit als ein Mittel, um den Betrachter zu aktivieren, die Wahrnehmung seines eigenen Leben zu ändern. Eine seiner jüngeren Arbeiten, „Through a Symbolic World“, 2002, beispielsweise, beschäftigt sich mit dem Wahrnehmungsprozess. Willats präsentiert Fragmente einer gewöhnlichen Einkaufstraße in London, Fotografien des Straßenzugs, von Schildern, von Kritzeleien auf Wänden, Details von Materialstrukturen, Schilderungen der Situation (des Wetters, der Geräusche, der Dinge die man sieht) und Bilder von Menschen und Dingen, die sie tragen, wie Handys, Becher oder Zigaretten. Die Bildfolgen sind in Säulen geordnet. Die Auswahl der Fragmente ermöglicht es dem Betrachter, sich in die Situation zu versetzen und sich unterschiedliche Arten vorzustellen, wie man der Straße begegnen und auf sie reagieren kann. Dementsprechend sind die Bildfolgen nach Aspekten geordnet, die Auswahl und Kombination im Wahrnehmungsprozess bestimmen. Auf einer Tafel ist zum Beispiel zu lesen: „Setting – What setting do you see represented in front of you“, oder: „Identity- What personal identity would you associate with being here”. Willats erklärt dazu: „What is commonly considered to constitute everyday reality is derived from the realm of society that surrounds us in the course of daily life, and our encounter with this reality is a multi-channel experience in a world that has been encoded, mostly by other people, into a highly symbolic state. […] So the reality I attend to everyday as I make my way metaphorically through the infrastructure of society, takes the form of encoded symbols […]. These encodings exist at different levels to myself in space and time […], but whether it is as a constant background, as represented in the form and material of buildings, an advertisement proclaiming a product, a news story in paper, or the dress codes of people I come across, my consciousness is being influenced by an implicit transmission made in some form, a relayed referential message of someone else’s experience.”
In anderen Arbeiten konzentriert sich Willats auf polemische Themen, wie den Lebensbedingungen in großen modernen Wohnblocks. In. “Contrasts in Form and Meaning“, 1990/91, sieht man das Bild einer älteren Frau, eines Hochhauses und diverser Wohngegenstände, die durch ein graphisches System aus Linien und Texten wie „It was strange, I had a strange feeling“ und Wortpaaren wie „separated- closed“ in ein unbestimmtes Beziehungsverhältnis gesetzt werden. Die Formensprache erinnert dabei nicht nur an konstruktivistische und andere Kunst der Moderne, sondern auch an wissenschaftliche (soziologische oder technische) Darstellungsformen. Mit dem modernen Credo spielend, dass die Form der Funktion Folge zu leisten habe, hinterfragt der Titel auch, wie Sinnzusammenhänge geschaffen werden. Willats Arbeit ist auch deshalb so wichtig, weil seine Werke offene Systeme darstellen, die anstatt der Position des Künstlers zu einem bestimmten Thema Ausdruck zu geben, keine Beurteilung der thematisierten Situation vorgeben, sondern vom Betrachter verlangen, eine eigene Lesart zu entwickeln. Projekte wie „Nothing is quite as it appears“, 2000, sind das Ergebnis der Zusammenarbeit mit einer Gruppe von Künstlern, und steht sowohl für den Verlust der Autorenschaft, als auch für das Verständnis von Kreativität als einem sozialen Prozess.
Stephen Willats, der seit 1958 künstlerisch arbeitet, ist als englischer politischer Konzeptkünstler der ersten Stunde fraglos einer der wichtigsten Wegbereiter politischer Kunst in den 90er Jahren. Schon in Willats Arbeiten der 60er Jahre, in seinen unterschiedlichen Aktivitäten als Herausgeber des Magazins „Control“, oder in partizipatorischen Projekten wie dem „Center for Behavioural Art“, in dem Künstler sich mit Wissenschaftlern trafen, begegnet uns die Vision einer politischen Kunst, die auf einen Einfluss auf den Betrachter und die aktive Gestaltung von dessen Lebensumfeld abzielt, ohne dass ihm vom Künstler dessen persönliche Sichtweise vorgegeben wird. Eine Arbeitsweise, die gerade durch die zentrale Rolle, die dem Betrachter gegeben wird und die künstlerische Hinterfragung der Moderne nicht an Aktualität eingebüßt hat.